Bundesminister Hubertus Heil antwortete
Bad Driburg / Berlin. Gesetzlich sind alle Arbeitgeber verpflichtet, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Allerdings haben sie die Möglichkeit, ähnlich wie bei der Bereitstellung von Ausbildungsstellen, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, sich quasi freizukaufen.
Diese Abgabe nach dem Motto „Beschäftigen statt zahlen“ soll eigentlich alle Arbeitgeber motivieren, ihrer gesetzlichen Pflicht nachzukommen. Ein Teil der Arbeitgeber zahlt lieber. Diejenigen, die Behinderte einstellen, nehmen einen zusätzlichen Aufwand in Kauf und erhalten einen Ausgleich dafür.
Aus der Ausgleichsabgabe der Bundesländer werden Werkstätten wie die INTEG gefördert.
Meldungen und Zahlungen verwaltet das LWL-Inklusionsamt Arbeit in Münster.
Der Koalitionsvertrag sah vor, dass diese Förderung eingestellt wird. Wenn Mittel im ersten Arbeitsmarkt gewonnen w erden, sollten sie auch zur Integration behinderter Menschen in den ersten Arbeitsmarkt verwendet werden. Diese müssten dann auch den Mindestlohn erhalten.
Im §160 Absatz 1 Satz 1 SBG IX (Sozialgesetzbuch 9) heißt es: „Die Zahlung der Ausgleichsabgabe hebt die Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht auf.“
Die Realität sieht anders aus. Bis Ende 2023 sollen durch eine Übergangsregelung noch Anträge auf Zuschüsse für neue Sondereinrichtungen möglich sein, die über den 1. Januar 2024 hinausreichen.
Wir sehen darin eine Möglichkeit, noch über Jahre eine volle Integration und Inklusion zu verhindern. Außerdem widerspricht unseres Erachtens dieses Vorgehen der UN-Behindertenkonvention.
Daher schrieben wir Ende August den Arbeits- und Sozialminister im Bund Hubertus Heil an.
Unsere Fragen lauteten:
Stehen Sie zu Ihrem im Gesetzentwurf angekündigten Vorhaben, die Mittel aus der Ausgleichsabgabe für die Förderung schwerbehinderter Beschäftigter auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verwenden?
Knicken Sie gegenüber der Werkstattlobby ein, indem Sie auch über den 1. Januar 2024 hinaus Ausgleichszahlungen bewilligen?
Lassen Sie zu, dass Mittel aus den Ausgleichszahlungen verschwendet werden, die sinnvoller für die Integration und Inklusion behinderter und beeinträchtigter Menschen verwendet werden können?
Nehmen Sie eine erneute Kritik der Bundesrepublik bei der Staatenprüfung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Kauf?
Warum sind Sie nicht bei Ihrem ursprünglichen Weg geblieben? Sie haben einst vehement gegen Unternehmen gestritten, die sich vor der Einstellung von Behinderten drücken. Sie machten die Zusage, mehr Menschen mit Behinderung in reguläre Arbeit zu bringen. Wie kann es sein, dass große Unternehmen immer noch lieber die Ausgleichszahlungen leisten, als Behinderte einzustellen, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet sind?
Warum gibt es noch immer keinen Mindestlohn für Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten beschäftigt werden?
Der Minister antwortete mit einem Schreiben vom 4. Oktober.
Seit dem 6. Juni 2023 gibt es ein Gesetz zur Förderung des inklusiven Arbeitsmarktes. Darin ist geregelt, dass eine Förderung von Einrichtungen, „insbesondere von Werkstätten für behinderte Menschen“ (WfbM), aus Mitteln der Ausgleichsabgabe ab 2024 nicht mehr möglich ist.
Es gibt jedoch eine Übergangsvorschrift, die nun noch einmal überarbeitet werden soll. Minister Hubertus Heil begründet dies damit, dass es lange dauert, bis die Planung und Beratung eines Förderungsantrags abgeschlossen ist. Daher sollen Anträge, die Ende 2023 noch nicht bewilligt wurden, auch nach dem 1. Januar 2024 noch berücksichtigt werden.
„Der Verordnungsentwurf befindet sich zurzeit im Gesetzgebungsverfahren“, heißt es im Schreiben des Ministers.
Das BMAS unterstütze „die Forderung nach einer gerechten Entlohnung durch die Werkstätten“. Das aktuelle Entgeltsystem sei reformbedürftig. Seit August 2020 laufe ein „interdisziplinäres Forschungsvorhaben“. Eine Entgeltänderung würde auch Auswirkungen auf die „ergänzenden Sozialleistungen“ haben, etwa auf die Erwerbsminderungsgrenze.
Im Laufe des Vorhabens seien Beschäftigte, Leitungen und Auftraggeber von Werkstätten „zu ihren Vorstellungen einer angemessenen Entlohnung“ befragt worden.
Zwischenberichte und einen Abschlussbericht könne man auf der Webseite des BMAS nachlesen.
Die Reformüberlegungen würden im Herbst 2023 „auf einer breiten Basis diskutiert“ und „gemeinsam mit allen Akteuren ausführlich erörtert“.
„Im Anschluss daran werden wir entscheiden, wie die gewonnenen Erkenntnisse gesetzgeberisch umgesetzt werden. Auf diese Weise werden wir ein gerechteres und besseres Entgeltsystem in den WfbM erreichen“, gibt uns der Sozialminister schriftlich.
Wir werden ihn beim Wort nehmen.